Unsere Städte wachsen und werden immer dichter. Dieser Trend der letzten Jahrzehnte setzt sich kontinuierlich fort. Seit dem Jahr 1950 ist der Anteil der in Städten lebenden Bevölkerung von 30% auf 45% im Jahr 2000 gestiegen und es wird prognostiziert, dass im Jahr 2030 circa 60% der Bevölkerung weltweit in Städten leben wird. In hoch entwickelten Ländern ist dieser Prozentsatz sogar noch wesentlich höher – hier leben bereits aktuell mehr als 70% der Menschen in Städten.
Diese zunehmende Landflucht hat zur Folge, dass unsere Städte wachsen und nachverdichtet werden müssen. Da primär Wohnraum zur Verfügung gestellt werden muss, spielen Grünraum und Lebensraum für Tiere und Pflanzen in den Stadtentwicklungsplänen oft nur eine untergeordnete Rolle. Diese Qualitäten wären jedoch wichtiger denn je, bieten sie doch nicht nur Erholungsraum, sondern wirken der Überhitzung entgegen, halten Regenwasser zurück und mindern die Staub- und Lärmbelastung. Außerdem wirken sich Grünflächen positiv auf das menschliche Befinden aus und lassen urbane Gebiete weniger dicht wirken. Denn Überhitzung ist eine jener Auswirkungen des Klimawandels, die man besonders stark in dicht verbauten Städten merkt. Nachverdichtung und Stadterweiterung verstärken den Urban Heat Island Effekt (UHI) in den Städten zusätzlich.
Klimaziele 2050
Wohnraum und Grünflächen sind jedoch nicht die einzigen Bedürfnisse, die in einer Stadt in Konkurrenz stehen. Auch für die Stromerzeugung in der Stadt, direkt am bzw. durch das Gebäude, wird künftig immer mehr Fläche bereitzustellen sein. Die Klimaziele, die durch die „CO2-arme Wirtschaft bis 2050“ vorgegeben werden und einen fast vollständigen Ausstieg aus der fossilen Energie bedeuten, werden eine verstärkte Nutzung der Gebäudehülle zur Stromerzeugung durch Photovoltaik (PV) notwendig machen.
Effiziente PV-Anlagen
Dachflächen besitzen für die Stromgewinnung mit Hilfe von Photovoltaik- (PV)-Modulen noch immer das größte Potential. Ein Vergleich zwischen Solarpotential- und Grünraumkataster in Wien zeigt, dass die dafür geeigneten Flächen nahezu ident sind. Da die konventionell aufgeständerte PV-Anlage auf dem Dach eine Nutzung als Freiraum und nutzbarem Grünraum ausschließt, sind innovative Lösungen notwendig, um die Flächen mehrfach zu nutzen. Das Forschungsprojekt PV-Dachgarten beschäftigt sich mit dieser Problemstellung und ermöglicht, die drei Komponenten Mensch – Pflanze – Energieumwandlung zu einer gemeinsamen Systemlösung, die eine Mehrfachnutzung der Dachflächen erlaubt, zu kombinieren.
Konstruktionsweise des PV-Dachgarten
In dem knapp dreijährigen Projekt konnte eine Konstruktion entwickelt werden, die wesentliche Forschungsfragen in diesem Kontext beantwortet. Semitranspararente PV-Paneele aus Verbundsicherheitsglas, die pergolaartig aufgeständert werden, ermöglichen eine dreifache Nutzung der vorhandenen Dachfläche. Die Tragkonstruktion wurde so dimensioniert, dass alleine durch die Auflast des Gründachsubstrats ein Abheben durch den Sog des Windes verhindert wird und daher eine Durchdringung der Dachhaut nicht notwendig ist. Der Wegfall einer permanenten Befestigung am Gebäude hat mehrere Vorteile. Es gibt keine Schwächung der wasserdichten Ebene und es kommt zu keiner Übertragung von Vibrationen oder Schallwellen auf das Gebäude. Das System ist durch den Wegfall der Fixierung sowohl im Neubau als auch auf bestehenden Dächern einsetzbar, woraus sich deutlich mehr Anwendungsmöglichkeiten ergeben. Teildurchlässige PV-Paneele (30% Restlichtdurchlässigkeit) ermöglichen darunter ein optimales Pflanzenwachstum, während sie gleichzeitig Strom erzeugen und den Nutzern eine bessere Aufenthaltsqualität mit Schatten bzw. Regenschutz bieten.
Test-PV-Dachgarten an der BOKU
Auf dem Dach eines Gebäudes der Universität für Bodenkultur Wien („Schwackhöfer-Haus“) konnten die Auswirkungen der reduzierten Lichtverhältnisse auf Mensch und Pflanze untersucht werden. Vor allem die passende Pflanzenauswahl ist bei veränderten Einstrahlungsverhältnissen in Kombination mit der exponierten Lage am Dach eine Herausforderung bei der Planung. Die Auswirkungen auf den Menschen wurden durch gemessene meteorologische Daten, einmal mit und einmal ohne PV-Überdachung, ermittelt. Anhand der aufgezeichneten Daten ließ sich der Universal Thermal Climate Index (UTCI) erzeugen, ein komplexes mathematisches Modell, mit dem aus den Eingangsgrößen Lufttemperatur, Luftfeuchte, Windgeschwindigkeit und mittlerer Strahlungstemperatur eine Äquivalenztemperatur errechnet wird. In einer Skala ist so ablesbar, welchem Hitze- beziehungsweise Kältestress ein Mensch ausgesetzt ist. In voran gegangener Abbildung ist ersichtlich, dass an einem sehr heißen Sommertag die gefühlte Temperatur im durch die PV-Pergola- Konstruktion verschatteten Bereich (blaue Linie) um 5–7°C kühler ist, als auf einer vergleichbaren Dachfläche ohne Sonnenschutz (orange Linie). Die Pufferwirkung der Überdachung zeigt sich durch die Umkehr des Effektes in den Nachtstunden.
Stakeholder-Befragung
Durch die Ergebnisse aus dem Versuchsgarten und einer Stakeholder-Befragung konnten Mustergrundrisse detailliert ausgearbeitet und visualisiert werden. Um die breite Anwendbarkeit dieser Lösung zu veranschaulichen, sind beispielhafte Gebäudetypen aus dem Wohnbau wie auch aus dem Bürohausbau analysiert und bearbeitet worden. Damit auf unterschiedliche Dachgrößen und Anforderungen reagiert werden kann, ist die Pergolakonstruktion modular aufgebaut. Das Basismodul mit einer Größe von circa 8m x 7m (maßgeblich durch die typische Gebäudestruktur, der PV-Modulgröße und den statischen Systemanforderungen bestimmt) kann mit Erweiterungsmodulen vergrößert werden. So lassen sich große Dachflächen mit dem PV-Dachgarten ausstatten und bilden dabei eine witterungsresistente Schicht, die den Bewohnern auch eine Nutzung bei schlechtem Wetter ermöglicht.
Einsparung und Kosten
Die Kosten des PV-Dachgartens können mit jenen eines Wintergartens verglichen werden. Der Quadratmeterpreis beläuft sich auf ca. 1100 bis 1700 €/m2, wenn die Unterkonstruktion in Stahl ausgeführt wird. Diesen Kosten können die jährlichen Einnahmen durch die Stromproduktion gegenübergestellt werden. Mit dem PV-Dachgarten wurde eine Lösung gefunden, die Nutzung durch den Menschen, Grünraumfunktion und Energieproduktion auf ein und derselben Dachfläche verbindet.
Ein aktuell fertiggestelltes Projekt ist der PV-Dachgarten im neuen Hörsaalzentrum an der BOKU, das als Beispiel für ein innovatives ökologisches Dach der Zukunft dient.